Wenn es bis zur Lehrstelle 174 Kilometer sind 7. September 2019 Ratgeber Berlin – Anfang September beginnen wieder etliche junge Leute ihre Ausbildung. Andere sind schon im August gestartet. Allerdings finden längst nicht alle Azubis eine passende Stelle in der Nähe. Pendeln ist daher schon ein Thema für Berufsanfänger, denn gerade auf dem Land ist die Entfernung ein zunehmendes Problem. Zumal viele Azubis noch zu jung für Führerschein und eigenes Auto sind – oder es sich nicht leisten können oder gar kein Auto wollen. «Die Erreichbarkeit von Ausbildungsbetrieben ist für Auszubildende ein großes Thema im Handwerk, besonders in ländlichen Räumen», sagt Frank Zopp, Sprecher des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH). Der ÖPNV sei oft unzureichend und die Wege würden länger, da die Betriebe verstärkt an Ortsränder verdrängt würden. Zudem trügen hohe Mieten in Ballungszentren zu langen Fahrtwegen bei. Wo Lehrstellen sind, fänden Azubis oft kaum bezahlbaren Wohnraum. 33 Kilometer im Westen In westdeutschen Bundesländern waren pendelnde Azubis laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) durchschnittlich 33 Kilometer unterwegs, in den ostdeutschen sogar 51 Kilometer. Rund 60 Prozent der Auszubildenden pendeln über Gemeindegrenzen hinweg. Jeder 25. in Ostdeutschland lebende Azubi fährt in den Westen. Besonders weit haben es in Berlin wohnende Azubis, die nicht in der Hauptstadt arbeiten: Sie sind im Schnitt 174 Kilometer unterwegs. Über den sogenannten Pendleratlas der Bundesagentur für Arbeit lässt sich für alle Landkreise genau einsehen, wie weit Azubis ein- oder auspendeln. Die meisten Pendler gibt es wie zu erwarten im Umland von größeren Städten. Vor allem in Bayreuth und Bamberg zieht eine gute Ausbildungsplatzsituation dem IAB zufolge Lehrlinge von außerhalb an, ebenso in Schwerin, Jena, Erfurt und Potsdam. Auch der Weg zur Berufsschule ist für etliche Lehrlinge weiter als noch für frühere Generationen. Denn einige Berufsschulen schließen wegen geringer Nachfrage. Existierten laut Statischem Bundesamt 1992 über 1800 der dualen Berufsschulen, waren es 2017/18 nur noch gut 1500. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung geht davon aus, dass es 2035 ein Fünftel weniger Berufsschüler geben wird als 2009. Die verbleibenden Azubis müssen daher oft immer weiter fahren. Teilweise gibt es sogar bundesweit nur eine Berufsschule – momentan laut Kultusministerkonferenz bei 29 Berufen. Beispielsweise fahren alle angehenden Hörgeräteakustiker nach Lübeck, Gerber nach Reutlingen, Asphaltbauer nach Essen, Spielzeughersteller ins thüringische Sonneberg und Imker nach Celle. Pro Jahrgang besuchen dem Bundesinstitut für Berufsbildung ( BIBB) zufolge etwa 2 000 Auszubildende die sogenannten Bundesfachklassen. Jobwechsel statt Umzug Die langen Fahrtwege sind nicht nur eine Unannehmlichkeit – sie haben einen weitreichenden Effekt. Die Mitarbeiter der Arbeitsagentur in Bayern erleben nach eigener Auskunft, dass viele Schulabgänger eher den Berufswunsch änderten als umzuziehen. Ähnlich äußern sich einige Betriebe und Regionen: Manchmal seien lange Wege und fehlende Mobilität der Grund, dass sich Lehrstellen nicht besetzen ließen. Etliche Ausbildungsbetriebe suchen daher nach Lösungen. Einige bieten Werkswohnungen an – ähnlich wie Wohnheime bei Berufsschulen. Andere Betriebe finanzieren ihren Azubis den Führerschein – zumindest bei guten Leistungen und entsprechendem Alter. Beispielsweise eine Bäckereikette aus dem Baden-Württembergischen Emstal und eine aus Landshut sowie ein Heizung- und Sanitärbetrieb aus Dresden und eine Fleischerei-Kette aus der Region Hannover. Andere Ausbildungsbetriebe richten Mitfahrbörsen ein oder bezuschussen Bus- und Bahntickets. So eine Bäckereikette aus der Nähe von Düsseldorf, die stark auf alternative Mobilität setzt. Die Kreishandwerkerschaft im bayerischen Rhön-Grabfeld nahe Hessen verschenkt Anfang September sogar für ein Jahr ein E-Auto – an denjenigen, der am schwierigsten zum Ausbildungsplatz gelangt. Vernetzung statt Aufgabe Gegen lange Wege zur Berufsschule schlägt der Zentralverband des Deutschen Handwerks vor, Standorte mit zurückgehenden Schülerzahlen digital mit größeren Standorten zu vernetzen, um sie zu erhalten. In Bayern können Schüler mancher Berufe laut Kultusministerium zusammen beschult werden, etwa Fleischer und Fleischereifachverkäufer oder Kaufleute für Einzelhandel mit Kaufleuten für Groß- und Außenhandel. Der ZDH sieht aber auch öffentliche Geldgeber in der Verantwortung, um den ländlichen öffentlichen Nahverkehr sicherzustellen. Er dürfe nicht zugunsten der stärker genutzten ÖPNV-Systeme in den Ballungsräumen ausgedünnt werden. «Zu den Hindernissen für Mobilität gehören nicht zuletzt auch hohe Ticketkosten für Auszubildende», sagt der ZDH-Sprecher. Bisher hätten nur sechs Bundesländer ein Azubiticket analog zum Semesterticket bei Studenten eingeführt. Fotocredits: David-Wolfgang Ebener,Martin Schutt,Soeren Stache (dpa) (dpa)