Wann Lügen im Vorstellungsgespräch erlaubt sind 8. April 2020 Ratgeber Essen – Das Bewerbungsgespräch lief so gut, dass Jasamin Ulfat-Seddiqzai dachte, sie bekäme den Job. Dann aber wurde sie zu einem zweiten Gespräch eingeladen – dieses Mal mit dem Chef persönlich. «Er hat mir dann gesagt, er müsse mein Kopftuch thematisieren.» Die Germanistin und Anglistin unterrichtet an der Universität Duisburg-Essen. Damals sei es um einen Studentenjob in einer Sprachschule gegangen, erzählt sie. «Im Vorstellungsgespräch hat mich mein Chef gefragt, ob ich bereit wäre, das Kopftuch abzusetzen.» Sie habe wahrheitsgemäß geantwortet, sie könne sich das vorstellen, wenn der Job es erfordere. Ulfat-Seddiqzai hat häufig erlebt, dass es in Bewerbungsverfahren um ihren Glauben oder um ihren Migrationshintergrund ging. Das seien private Themen, die für die Entscheidung des Arbeitgebers keine Rolle spielen dürfen, betont Evelyn Räder, Arbeitsrechtsexpertin bei der Gewerkschaft Verdi. «Ob ich einen Migrationshintergrund habe oder die deutsche Staatsbürgerschaft besitze, muss dem Arbeitgeber egal sein.» Private Infos sind tabu – sofern sie nichts mit dem Job zu tun haben Allerdings gebe es eine Ausnahme: Bei Zugewanderten müssten sich Arbeitgeber versichern, dass diese in Deutschland arbeiten dürfen. Generell gilt aber: Fragen nach privaten Informationen sind so lange tabu, wie sie nichts mit der Ausübung des Jobs zu tun haben. «Es muss ein billigenswertes, berechtigtes und schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers bestehen», sagt Räder. Wenn sich jemand beispielsweise als Lehrkraft für ein bestimmtes religiöses Bekenntnis bewirbt, dürfe auch nach der Religionszugehörigkeit gefragt werden, erklärt Johannes Schipp, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im Deutschen Anwaltverein. Bewerberinnen und Bewerber befinden sich häufig in einem Konflikt: Einerseits möchten sie ein Vertrauensverhältnis schaffen, andererseits nicht zu viel von sich preisgeben. «Deswegen hilft die Rechtsprechung aus dieser Zwickmühle», sagt Räder. Das bedeutet: Bei unzulässigen Fragen darf man die Unwahrheit sagen. Notlüge kann bei unzulässigen Fragen helfen Eine andere Möglichkeit ist, auf die Unzulässigkeit einer Frage hinzuweisen. Der Arbeitgeber werde sich dann aber womöglich seinen eigenen Reim darauf machen, sagt Schipp. «Es kann sein, dass es unter Umständen klüger ist, zur Notlüge zu greifen.» Ein klassisches Beispiel für unzulässige Fragen sind die Themen Familienplanung und Schwangerschaft. Ob jemand Kinder bekommen möchte, habe nichts mit der Qualifikation für eine Stelle zu tun, betont Räder. «Ich würde auch niemandem raten, von sich aus darüber zu sprechen, denn das gehört nicht in ein Bewerbungsgespräch.» Unzulässig sind Fragen nach Krankheiten oder Vorstrafen Bei der Frage nach dem Kopftuch hat Ulfat-Seddiqzai wahrheitsgemäß geantwortet. Laut Schipp hätte sie jedoch sagen können, was sie möchte. In ihrem Fall ging es um zukünftiges Verhalten, erklärt er. Der Arbeitgeber habe später nicht das Recht, Absichtserklärungen einzufordern. Der Anwalt sieht auch keinen Grund, warum es im Büro einer Sprachschule ein Kopftuchverbot geben solle. «Hier ist es relativ klar: Das geht den Arbeitgeber nichts an.» Auch Fragen nach Krankheiten, Suchtproblemen oder Behinderungen dürfen normalerweise nicht gestellt werden, sagt Schipp. Als Ausnahme gilt, wenn ein bestimmter Job dadurch nicht ausgeübt werden kann. Gleiches gilt für Vorstrafen: Ansprechen müssen Bewerber und Bewerberinnen sie nur, wenn für die Arbeitsstelle wichtig sind. Bewerber haben auch eine Offenbarungspflicht Auch nach einer Gewerkschafts- oder Parteizugehörigkeit dürfe der Arbeitgeber nicht fragen – außer man bewirbt sich etwa bei einer politischen Organisation. Bei bestimmten Themen kann es laut Schipp aber eine Offenbarungspflicht geben. Die gelte für Eigenschaften, die für die Tätigkeit von ausschlaggebender Bedeutung sind: Wer sich als Fahrer bewirbt, aber keinen Führerschein hat, muss das offenlegen. Wer im Bewerbungsprozess ohne sachlichen Grund ungleich behandelt wurde, kann nach Paragraf 15 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) Schadensersatzanspruch geltend machen, erklärt Rechtsexpertin Räder. Die Schwierigkeit bestehe jedoch darin, eine Benachteiligung zu beweisen. «Daran scheitern die Klagen nicht selten», so Schipp. Wie Bewerberinnen schlagfertig auf unzulässige Fragen reagieren Mit unzulässigen Fragen im Bewerbungsgespräch umzugehen, ist keine leichte Aufgabe. Eigentlich sollte das Gespräch natürlich auf Augenhöhe stattfinden. «Idealerweise ist ein Vorstellungsgespräch ein gegenseitiges Kennenlernen, in dem es darum geht, ob die Qualifikationen einer Bewerberin oder eines Bewerbers auf die Stelle passt», erklärt Wiebke Blanquett, Expertin für das Thema diskriminierungsfreie Personalauswahl. Gerade Frauen würden aber oft zu ihrem Privatleben gefragt, auch wenn das eigentlich nicht erlaubt ist. Dann ist Schlagfertigkeit gefragt: Weil einem in einer Stresssituation oft aber spontan nichts Gutes einfällt, sollten sich Bewerberinnen und Bewerber schon vorab mögliche Antworten auf unzulässige Fragen zurechtlegen, rät Blanquett. «Am besten denkt man sich verschiedene Strategien aus und reagiert entsprechend – je nachdem, wie sehr man auf eine Position angewiesen ist.» Im 8. Monat mit Drillingen Auf die Frage «Sind Sie schwanger?» kann eine Antwort etwa lauten «Nein, Sie?» oder «Klar, im 8. Monat mit Drillingen». Bei der Frage, wie man denn die Kinderbetreuung organisieren wolle, können Bewerberinnen etwa mit «Meine Eltern wohnen um die Ecke» reagieren. Auch wenn dies nicht zutrifft, kann bei solchen Fragen eine Notlüge ausnahmsweise rechtens sein. Erkundigt sich ein Arbeitgeber danach, ob eine Frau Kinder wolle, könne man sagen: «Die Familienplanung ist abgeschlossen oder derzeit kein Thema, da ich mich erst einmal beruflich verwirklichen will.» Eine andere Strategie kann der «Gegenangriff» sein. Dafür braucht es aber viel Selbstbewusstsein und die Sicherheit, dass man nicht auf den Job angewiesen ist. So können Bewerberinnen zum Beispiel sagen: «Diese Frage ist nicht zulässig. Sie wissen das und ich auch.» Anschließen könne man mit «Sie können die Frage zurückziehen» oder «Gehen wir zur nächsten Frage über». Ruhig bleiben – und dann zur Sachebene zurück Wichtig sei es, grundsätzlich ruhig zu bleiben und das Gespräch nach unzulässigen Fragen wieder auf eine sachliche Ebene zu bringen. «Je nach Situation kann ich den Fehler von Seiten der Personaler auch ansprechen – oder mich dazu entschließen, zu gehen», sagt Blanquett. Entscheidend ist ihrer Ansicht nach, ob es sich um einen «einmaligen Ausrutscher» des Personalers handelt oder mehrere Fragen dieser Art gestellt werden. Als Bewerberin müsse man sich während oder nach einem solchen Vorstellungsgespräch die Frage stellen: Ist das wirklich der Arbeitgeber, für den ich arbeiten will? Zur Person: Wiebke Blanquett ist interdisziplinär ausgebildet in den Bereichen Politikwissenschaft, Gender Studies und Arbeitsrecht. Derzeit ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bremer Institut für Gender-, Arbeits- und Sozialrecht (bigas) an der Universität Bremen und promoviert im Umfeld der juristischen Genderforschung. Zuvor war sie im Bereich diskriminierungsfreie Personalauswahl tätig. Außerdem gibt sie Bewerbungstrainings und Workshops zum Thema. Fotocredits: Christin Klose,Dieckmann-Fotodesign,Wiebke Blanquett,Evelyn Räder (dpa/tmn) (dpa)