Köln – Zuerst den Vierkantschlüssel rausholen, dann zwei

Sicherungshebel lösen und zahlreiche andere Handgriffe tätigen:

Nachdem Zugbegleiter Daniel von Contzen alle 28 Arbeitsschritte

erledigt hat, ist der Hublift – eine Art Mini-Lift am Zug –

ausgeklappt.

Nun kann ein Rollstuhlfahrer rein in den ICE. Doch der

Rollstuhlfahrer ist gar nicht da. Und auch ein Zug ist nicht vor Ort.

Von Contzen übt die Arbeitsschritte in einem Kölner Konferenzraum –

mit einer Virtual-Reality-Brille. Er hält Kontrollgeräte und steuert

damit seine virtuellen Hände. Was genau er gerade tut, sehen andere

Schulungsteilnehmer ohne VR-Brille auf einer Leinwand.

Übungsszenarien für den neuen ICE 4

Die Idee ist simpel, die Umsetzung komplex: Übungen in der

Wirklichkeit sind aufwendig, schließlich muss ein echter Zug dafür

bereitstehen. Also greift die Bahn auf die Technik zurück. Die

realitätsnahe Schulung soll die Zugbegleiter fit machen für den Tag,

wenn auf einer Fahrt tatsächlich einmal ein Rollstuhlfahrer

am Bahnsteig ist und er in den Zug soll. Die Übungsszenarien beziehen

sich größtenteils auf den neuen ICE 4. Separat hierzu gibt es auch

Übungen im echten Zug.

Die Realitätsnähe der VR-Schulung ist unter den Teilnehmern ein

großes Thema. «Die Handgriffe kommen denen am echten Hublift schon

nah», erzählt der Zugbegleiter von Contzen nach seinem VR-Training.

Von Contzen ist einer von rund 1000 Mitarbeitern der Deutschen Bahn,

die 2018 mit der neuen Technik geschult wurden.

Kosten für Technik deutlich gesunken

Die Bahn ist nur ein Beispiel für Firmen, die auf VR-Schulungen

setzen. Auch in anderen Branchen wird auf diese Technik zum Lehren

und Lernen gesetzt. In der Industrie, im Gesundheitswesen oder im

Rettungsdienst wird diese Technik ebenfalls bereits zum Lehren und

Lernen verwendet. Die Kosten für die Technik seien deutlich gesunken,

sagt Martin Zimmermann, Gründer der europäischen Kompetenzeinrichtung

Virtual Dimension Center (VDC) in Fellbach und St. Georgen. Über das

VDC vernetzen sich seit 15 Jahren Unternehmen, Hochschulen und

Entwickler von Soft- und Hardware.

In den Anfängen seien für eine VR-Anlage mehrere Millionen Mark

fällig gewesen, heute sei man für eine VR-Brille, Sensoren und einen

Rechner mit einem niedrigen vierstelligen Euro-Betrag dabei,

sagt Zimmermann. Man arbeite nun auch mit Volkshochschulen,

Berufsschulen und allgemeinbildenden Schulen zusammen.

Gruppenerlebnis und Interaktivität

Der Fachmann sieht die Vorteile der Schulungen in der Kombination aus

interaktivem Lernen und dreidimensionaler Umgebung. Dadurch könne man

die Aufgabe ganz anders wahrnehmen und begreifen als über einen

klassischen Vortrag oder Frontalunterricht. Außerdem biete VR ein

Gruppenerlebnis. Wenn die virtuelle Realität über einen Beamer an die

Wand geworfen werde, könnten alle Teilnehmer mithelfen, eine Aufgabe

zu lösen. «Und natürlich spielt der Spaß am Lernen eine Rolle.»

Auch der Motorsägenhersteller Stihl setzt auf Virtuelle Realität: Das

schwäbische Unternehmen schult eigene Mitarbeiter und Fachhändler in

einem Motorsägen-Simulator. Eine gefährliche Situation – das Fällen

eines Baumes – wird in einer sicheren Umgebung geübt. Der

Schulungsteilnehmer hält eine echte Säge in der Hand, auf der

Sensortechnik angebracht ist. «Mit dem Simulator kann man das

Baumfällen Schritt für Schritt durchgehen und wird dadurch auf den

echten Wald vorbereitet», erklärt der zuständige

Stihl-Abteilungsleiter Marbod Lemke. Auch der Zeitfaktor ist

ein Vorteil, denn das Training kann bei jedem Wetter und zu jeder

Jahreszeit durchgeführt werden – die Übung ist also gut planbar.

Waggons virtuell kuppeln

Die Realität ersetzen sollen die Schulungen im virtuellen Raum nicht,

vielmehr sollen sie das Training ergänzen. «Mit dem VR-Programm

können Bewegungsabläufe in Ruhe geübt werden, die in der Praxis

schnell ablaufen müssen», erklärt Lars Tiedermann. Er hat das

Programm «Eve» mitentwickelt, mit dem die Bahn-Mitarbeiter lernen. Es

geht bei den Arbeitsschritten nicht nur um den Hublift für

Rollstuhlfahrer, sondern zum Beispiel auch um das Öffnen virtueller

Bugklappen zum Abschleppen eines Zuges. Ab diesem Jahr sollen

Auszubildende mit der VR-Brille auch üben, Waggons zu kuppeln.

Positiv sieht das Thema die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft

(EVG). Solch ein Simulationstraining sei hilfreich, da es

Handlungssicherheit gebe, sagt Gewerkschafterin Claudia Dunst. «Viele

Kollegen müssen ja immer wieder direkt auf die Gleise, und das ist

immer gefährlich.» Das Training ersetze jedoch nicht die Einweisung

vor Ort. Und es müsse regelmäßig überprüft werden, ob die erlernten

Arbeitsschritte auch in der Praxis umsetzbar seien.

Fotocredits: Rolf Vennenbernd,Rolf Vennenbernd,Rolf Vennenbernd
(dpa)

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