Quereinsteiger als Lehrer: Gute Idee oder zweite Wahl? 30. Oktober 2017 Ratgeber Dresden – Wenige Monate Vorbereitung und dann ab in die Klasse: Im Kampf gegen den Lehrermangel an den Schulen setzen viele Bundesländer auf Quereinsteiger. Sie haben Mathe, Sport, Musik oder Ähnliches klassisch studiert, aber nicht auf Lehramt. Trotzdem sollen sie den Personalmangel mildern. Sind die Quereinsteiger als Mittel gegen Unterrichtsausfall und Riesenklassen mit 28 plus X Schülern wirklich eine gute Idee? Kann jemand mit viel Fachwissen, aber wenig pädagogischem Rüstzeug einen klassischen Lehrer mit jahrelanger Ausbildung ernsthaft ersetzen? In Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Thüringen wird das in unterschiedlichem Umfang ausprobiert und hitzig diskutiert. In Thüringen sollen Quereinsteiger erstmals ab Februar an allgemeinbildenden Schulen unterrichten. Bislang sei das nur an berufsbildenden Schulen möglich gewesen, sagte der Sprecher des Bildungsministeriums, Frank Schenker. Eine Ausnahme seien die 150 Lehrer, die seit 2015 Deutsch als Fremdsprache unterrichten. In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg sind Quereinsteiger bereits im Einsatz und es wird damit gerechnet, dass ihre Zahl steigt. Die Landesregierung in Sachsen-Anhalt diskutiert derzeit ein neues Schulgesetz, mit dem ihnen erstmals das Referendariat ermöglicht werden soll. In Brandenburg steigt nach Ministeriumsangaben seit 2014 die Zahl der Seiteneinsteiger, weil insgesamt mehr neue Stellen besetzt würden. Unter ihnen seien vor allem Musikpädagogen und Diplom-Sportler. Insgesamt gebe es im Land rund 1600 Quereinsteiger. Die umsattelnden Kollegen verdienen in der Regel weniger als klassische Lehrer. Besonders im Fokus steht Sachsen. Der Freistaat setzte zuletzt besonders stark auf Personal ohne Lehramtsstudium. Laut Kultusministerium ist jeder zweite neu eingestellte Lehrer an den allgemeinbildenden Schulen im laufenden Schuljahr kein klassisch ausgebildeter Pädagoge. Früher arbeiteten diese Kräfte eher an den Berufsschulen, seit vorigem Jahr steige ihr Anteil auch an den Grund- und anderen Schulen. «Die Alternative dazu wäre kein Unterricht», sagt ein Ministeriumssprecher unverblümt. Die freien Stellen könnten sonst nicht besetzt werden. Zuletzt hätten sich beispielsweise nur 1160 ausgebildete Lehrer auf 1400 freie Stellen beworben. Nicht überall ist der Mangel jedoch gleich groß. Gymnasiallehrer seien noch zu finden, heißt es. Für Grund-, Ober- und Förderschulen fehlt dagegen Personal. Künftig dürfte sich die Lage kaum entspannen: In den nächsten zehn Jahren wird rund die Hälfte aller sächsischen Lehrer in Rente gehen – voraussichtlich um die 15 000. Bevor die Quereinsteiger vor die Klasse dürfen, bekommen sie eine dreimonatige Qualifizierung, wie der Ministeriumssprecher erläutert. Danach würden sie neben dem Lehrerjob begleitend pädagogisch weitergebildet – oder könnten noch ein zweites Unterrichtsfach an der Uni studieren. Thüringen setzt auf andere Methoden: Hier sollen die Quereinsteiger berufsbegleitend qualifiziert werden, ein Hochschulabschluss und fachliche Vorkenntnisse sind nach Angaben von Ministeriumssprecher Schenker jedoch nötig. Er rechnet damit, dass im kommenden Jahr bis zu 100 Neulinge im Lehrerberuf eingestellt werden. Großen Bedarf gebe es an Schulen im ländlichen Raum sowie an Regelschulen in den naturwissenschaftlichen und musischen Fächern. Sachsen-Anhalts Bildungsminister Marco Tullner (CDU) rechnet damit, dass die derzeit noch überschaubare Zahl an Quereinsteigern in den nächsten Jahren deutlich wächst. Die nachgeschulten Kräfte werden gebraucht: Im Sommer konnte das Land 100 Stellen nicht besetzen. In einer aktuellen Runde sind fast die Hälfte der 600 Bewerber für weitere Einstellungen Quereinsteiger. Tullner will die neuen Kräfte künftig besser qualifizieren. In seinem Entwurf für ein neues Schulgesetz gibt es erstmals die Möglichkeit, ein klassisches Referendariat neben dem Einsatz im Klassenzimmer zu absolvieren. «Das Ziel ist, dass sie am Ende dieselbe Qualifikation wie alle anderen Lehrer haben», sagt der CDU-Politiker. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zweifelt an dem Konzept. Das Programm richte sich nur an Bewerber, die mit ihren Fachstudien zwei Unterrichtsfächer abdecken könnten, moniert GEW-Landeschefin Eva Gerth. Das treffe auf die wenigsten zu. Tullner hält dagegen, dass die Quereinsteiger ein zweites Fach über Weiterbildung an der Uni lernen könnten – um dann ins Referendarat zu gehen. Bei diesen Plänen hat hingegen die Vorsitzende des Grundschulverbands im Land, Thekla Mayerhofer, Bauchschmerzen. «Bereits klassische Referendare klagen über die hohe Arbeitsbelastung», sagt sie. «Wie soll ein Quereinsteiger in so kurzer Zeit neben dem Job die zusätzlichen Extraausbildungen schaffen?» Die Gefahr sei hoch, dass die neuen Lehrkräfte verheizt würden, ehe sie genügend Kompetenzen in Unterrichtsplanung und Pädagogik hätten. Ein Indiz, dass es in der Praxis oft nicht so reibungslos funktioniert, ist die Abbrecherquote in Sachsen: Im vorigen Schuljahr schmiss jeder zehnte neu eingestellte Quereinsteiger hin, im Jahr zuvor sogar jeder fünfte, wie der Ministeriumsprecher berichtet. In Brandenburg kennt man dieses Phänomen nach eigenen Angaben nicht – bisher seien keine relevanten Abbrecherzahlen bekannt. Fotocredits: Caroline Seidel (dpa) (dpa)