Worms – Hut, Stock und ein Bündel – der freundliche junge Mann mit den langen Rasta-Locken ist unschwer als Wandergeselle zu erkennen. An einer Raststätte an der A61 in Rheinland-Pfalz fragt er nach einer Mitfahrgelegenheit.

Bis Worms passen die Pläne zusammen, und das kleine Bündel, auch Charlottenburger genannt, hat locker Platz im Kofferraum. Konstantin Schäfer stammt aus Saarlouis und ist Zimmermann. Gerade kommt der 24-Jährige von einer Feier in der Eifel. Jetzt ist er auf dem Weg zu seinem bislang letzten Arbeitgeber im südhessischen Heppenheim. Der soll ihm in seinem Wanderbuch noch ein Zeugnis ausstellen.

Das Wanderbuch, der knotige Stock, auch Stenz genannt, und das Bündel gehören zur Grundausstattung jedes Wandergesellen dazu. Stolz trägt Schäfer den traditionellen schwarzen Hut, einen Ohrring, ein weißes Hemd, darüber eine Weste mit acht Perlmuttknöpfen, ein Jackett und weite Schlaghosen. Seine Kluft ist schwarz. Das weist ihn als Zimmermann aus, denn jedes Gewerk hat seine eigene Farbe.

Wer Meister werden wollte, musste vom Spätmittelalter bis zur beginnenden Industrialisierung auf Wanderschaft gehen. Arbeits- und Lebenserfahrung sollten die jungen Männer sammeln. In ungefähr 35 Handwerken ist das bis heute möglich: Bäcker, Betonbauer, Bootsbauer, Goldschmiede, Köche, Landwirte, Maurer und Schneider gehören etwa dazu.

«Es ist wunderbar, wenn junge Menschen Erfahrungen sammeln. In der Bäckerei habe ich Wandersleute allerdings noch nie gesehen», erzählt Peter Görtz, Inhaber einer großen Bäckerei-Kette in Ludwigshafen und Umgebung. «Ich würde sofort 20 nehmen.»

Maternus Burauen von der IG Bau und erster Sekretär der Conföderation Europäischer Gesellenzünfte (CCEG) schätzt, dass derzeit etwa 450 bis 550 Gesellen auf der Walz sind. Eine offizielle Statistik gibt es nicht. Aktuell seien schätzungsweise zehn bis zwanzig Prozent der Wandersleute Frauen. «Ich finde es gut, dass der Frauenanteil wächst», sagt Burauen, Dachdecker und früher selbst einmal auf Wanderschaft. Doch noch nimmt nicht jede Vereinigung Frauen überhaupt auf.

Seit 2014 gehört die Walz in Deutschland zum immateriellen Kulturerbe der Unesco. Wer sich auf sie begeben will, muss einige Regeln beachten: Er muss in einem Handwerk einen Gesellenbrief erlangt haben, unverheiratet sowie schuldenfrei sein. Die
Wanderschaft dauert zwei oder drei Jahre – und einen Tag. In dieser Zeit darf man sich seinem Heimatort bis auf 50 Kilometer nicht nähern. Ursprünglich war dies als Marktkontrolle für die Meister gedacht – ihre Gesellen sollten woanders ihr Glück finden und ihnen keine Konkurrenz machen.

«Ich hatte Fernweh», sagt Schäfer. Seit fast zwei Jahren ist er schon unterwegs. Durch Holland, Belgien, Frankreich, Österreich, die Schweiz und Israel führte ihn bereits sein Weg. «Viele unterschiedliche Arbeitstechniken habe ich kennengelernt, aber wichtiger als die handwerkliche ist die Erfahrung mit Menschen und die Selbsterkenntnis», sagt er.

«Beim Österreichischen Hospiz in Jerusalem habe ich am Eingangsportal Schusslöcher zugespachtelt», berichtet er. Welche Arbeitgeber Schäfer nach seinem Besuch in Heppenheim findet, ist offen. Der Geselle will nach Norwegen. «Die zahlen gut», hofft er. Der Lohn richtet sich nach den ortsüblichen Tarifen. Üblich ist oft auch Kost und Logis.

In Worms am Dom ist die gemeinsame Fahrt zu Ende, es bleibt noch der Weg bis Heppenheim. Dort hat sich Schäfers zwischenzeitlicher Arbeitgeber und früherer Altgeselle Jerome Schmitt bereits mit 25 Jahren selbstständig gemacht. «Ich habe ihn unter meine Fittiche genommen, habe ihm beigebracht, wie das Leben auf der Landstraße funktioniert, wie man Arbeit findet, als ich vor zwei Jahren selber noch unterwegs war», berichtet Schmitt. «Wer auf Wanderschaft geht, hat schon ein gewisses handwerkliches Know-how. Man lernt mehr im Bereich des Menschlichen», erzählt er. «Wichtig ist das vor allem bei problematischen Kunden. Man ist pragmatisch und zielorientiert, wirft nicht so schnell die Flinte ins Korn», sagt er zum Wert der alten Traditionen. «Man gibt sein Wort, man lässt sich festnageln.»

Festnageln ist dabei im buchstäblichen Sinne gemeint. «Man wird auch heute noch mit dem Ohrläppchen an einen Balken genagelt. Dann bekommt man Ringe an die Ohren. Ursprünglich waren die dazu da, die Beerdigung zu bezahlen, wenn man unterwegs stirbt», sagt Schmitt. Im Zeitalter von Piercings und Tattoos wirkt das aber gar nicht mehr so archaisch. Und ganz modern erscheint auch die Idee der Walz, an verschiedenen Orten zu leben und zu arbeiten.

Fotocredits: Andrea Döring
(dpa)

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