Frankfurt – Ein Veranstaltungsraum in der alten Mühle Gömnigk südwestlich von Potsdam, Coworking-Büros und eine Kita auf dem
Hof Prädikow im brandenburgischen Prötzel, Seminare und Workshops auf dem
Gut Gorgast kurz vor der polnischen Grenze.

Weit vor den Toren Berlins haben kreative Stadtflüchtlinge Projekte an den Start gebracht, die neues Leben aufs Land bringen könnten. Meist geht es ums flexibles Arbeiten am heimischen PC oder in geteilten Büros, neue Impulse für den Job – und teils um die Erfüllung eines Lebenstraums.

Flexibles Arbeiten in der Provinz

Der Enge und dem Lärm der Ballungsräume entkommen, das Leben verbringen mit mehr Natur, dazu erschwinglichere Immobilienpreise: Für viele Städter klingt das verlockend. Home-Office und Arbeiten über das Internet machen neue Arbeitsmodelle möglich. Auch wenn das flexible Arbeiten in der Provinz noch kein Massenphänomen ist: Die Wohnungsnot treibt manche Menschen raus aus der Stadt.

Programmierer und Grafikdesigner, Architekten und Journalisten, Sozialwissenschaftler und Kulturmanager: Sie können oft örtlich flexibel arbeiten, also auch am heimischen PC. Die teure Wohnung in der Stadt oder das nervige Pendeln lässt sich so sparen.

Auf dem Hof Prädikow in der Märkischen Schweiz etwa haben Städter eine Genossenschaft gegründet: Ob Coworking-Space oder Schreinerei, Start-up oder Goldschmiede, Seminarräume oder Künstlerateliers – digitales Arbeiten und geteilte Räume sollen den Bewohnern ein Leben auf dem Hof ermöglichen. Die «Nachteile des schnelllebigen Stadtlebens» hinter sich lassen, lautet ein Ziel. Das Projekt kommt an: Wegen der starken Nachfrage auf dem Hof könnten neue Interessenten derzeit nicht mehr berücksichtig werden, heißt es.

Neue Ideen für die Landentwicklung

Für entlegene Dörfer ist die Zuwanderung einiger Städter eine große Chance. «Dass junge Kreative und digital affine Städter das Land für sich entdecken, birgt für demografisch angeschlagene Regionen eine große Chance», sagt Silvia Hennig. Die Gründerin der Denkfabrik Neuland 21 hat zusammen mit dem
Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung 18 Projekte rund um die Hauptstadt untersucht.

«Auch wenn die neue Landbewegung den entlegenen Regionen nicht überall aus der Misere helfen wird, wäre die Politik gut beraten, die Motive und Bedürfnisse der jungen Landlustigen besser kennenzulernen», sagt der Bevölkerungsforscher Reiner Klingholz. Denn die Stadt-Land-Wanderer brächten nicht nur Einwohner, Steuer- und Gebührenzahler aufs Land, sondern auch neue Ideen, meint der Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung.

Nicht nur Haupstadttrend

Eine Wanderung aufs Land beobachtet auch Carolin Wandzik, Geschäftsführerin am Hamburger Institut für Stadt-, Regional- und Wohnforschung (GEWOS). Berlin etwa habe nach jüngsten Zahlen von 2017 gut 7000 Menschen an die angrenzenden Nachbargemeinden verloren, mehr als 6300 zog es zudem ins übrige Umland. Der Trend zeigt nach oben: 2014 wanderten erst knapp 6700 Bewohner von Berlin in die Nachbargemeinden und fast 3700 ins Umland. Dass die Hauptstadt trotzdem wachse, liege vor allem an der arbeitsplatzbedingten Zuwanderung überwiegend aus Europa, sagt Wandzik. «Aber schon die über 25-Jährigen Starterhaushalte und die jungen Familien ziehen mehrheitlich aus Berlin.»

Auch wenn das längst nicht alles Kreative sind: Vom Immobilienboom profitiert auch die Provinz. Zwischen 2011 und 2017 haben die angrenzenden Nachbargemeinden rund 8 Prozent an Einwohnern gewonnen und die weit draußen liegenden Umland-Gemeinden 3 Prozent, zeigen die GEWOS-Zahlen. «Zwar wuchs Berlin noch etwas stärker, aber das Umland hat seit 2014 beträchtlich zugelegt.» Das sei kein alleiniges Hauptstadt-Phänomen: Ähnliche sehe es in Frankfurt aus, auch wenn es dort die Gruppe der 25- bis 30-Jährigen zum Job in die Stadt ziehe.

Anwerben von Menschen und Firmen

Für manche abgeschlagenen Dörfer sind Stadt-Flüchtlinge eine heiß umworbene Klientel. Nicht nur im Großraum Berlin entstehen kreative Projekte. Auch Kommunen etwa in Schleswig-Holstein werben um Städter, sagt GEWOS-Expertin Wandzik. «Die Hoffnungen sind groß, Menschen anzulocken, die mit neuen Arbeitsformen nicht mehr pendeln müssen.»

In der Tat fordern manche Politiker wieder mehr Aufmerksamkeit für die Provinz. «Ich warne sehr davor, immer nur auf die Großstädte zu schauen», sagte jüngst Innenminister
Horst Seehofer (CSU). «Wir sind verliebt in Großstädte». Die Politik müsse mehr Firmen und Behörden bewegen, sich in strukturschwachen Regionen anzusiedeln.

Ganz so einfach ist das Anwerben von Menschen und Firmen für das Land aber nicht. Denn oft fehlten einfache Standortbedingungen, heißt es beim Berlin-Institut. Ohne schnelles Internet etwa funktionierten Geschäftsmodelle nicht, ob im Coworking Büro für Kreative oder im Home-Office für Angestellte. Sie müssen erreichbar sein und ihre Produkte vermarkten können. «Bund und Länder müssen den Ausbau von Glasfasernetz in entlegene Regionen vorantreiben», so die Forscher.

Keine Entlastung für die Metropolen

Dass sich flexibles Arbeiten in der Provinz in großem Stil durchsetzt und so die Metropolen auf breiter Front entlastet, bezweifelt Wandzik aber. «Jobs im Home-Office oder im Coworking-Space sind bisher stark bei Start-ups, Gründern und Kreativen verbreitet, weniger in konservativen Branchen wie Banken oder Industrie», sagt sie. «Es ist fraglich, ob sich Coworking-Büros auf dem Land halten können.»

Und manche Angestellte nutzten zwar ein Home-Office an einzelnen Tagen in der Woche, aber eben nicht als kompletten Ersatz für die Anwesenheit im Büro. «Viele Chefs in Unternehmen wollen ihre Mitarbeiter und einen gewissen Leistungsnachweis sehen», sagt Wandzik. «Da stößt unsere Arbeitskultur an Grenzen.»

Fotocredits: Peter Ulrich
(dpa)

(dpa)