Fluch und Segen der Clean Desk Policy 11. Juni 2018 Ratgeber Berlin – Ein Papierstapel für wichtige Dokumente, daneben ein Ordner mit Unterlagen, die bis nächste Woche Zeit haben. Hinzu kommen drei Urlaubsfotos, die Lieblingshandcreme und Schokoriegel gegen das Nachmittagstief. So sehen Schreibtische im Büro häufig aus – doch viele Unternehmen wollen das ändern. Sie setzen auf eine Clean Desk Policy. Die besagt: Jeden Abend werden alle Dokumente wegsortiert, bis der Schreibtisch leer ist. «Ein klarer Vorteil dieses Vorgehens: Es wird definitiv weniger Zeit mit Suchen verschwendet», sagt Christine Hoffmann, Coach für Büroorganisation. Ein weiterer Vorteil: Fällt jemand spontan aus, können Kollegen übernehmen. Und das nicht nur, weil sie einen sauberen Schreibtisch vorfinden. «Wenn alle Mitarbeiter in den gleichen Strukturen arbeiten und ein vorgegebenes Ablagesystem verfolgen, ist eine Vertretung auch ohne Übergabe möglich», sagt Hoffmann. Vor allem in Büros ohne feste Arbeitsplätze und mit ständig wechselnden Teams gehört deshalb nicht nur der leere Schreibtisch zur Clean Desk Policy – sondern auch der Rollcontainer, mit dem sich persönliche Dokumente schnell zu einem neuen Platz bringen lassen. Auch Arbeitnehmer können davon profitieren, wenn sie von «Volltischlern« zu «Leertischlern» werden, wie Marc Schmidt es formuliert. «Das Chaos, das ich am Abend nicht beseitigt habe, begrüßt mich am nächsten Morgen», sagt der Berater und Buchautor. Für ihn sind unordentliche Schreibtische vor allem eine Frage der Selbstorganisation. «Chaos entsteht, wenn ich nicht weiß, was ich mit einem Papier machen kann oder an wen ich mit damit wenden soll.» Man legt die Dokumente zunächst zur Seite, es entsteht ein erster Stapel, kurz darauf ein zweiter. «Auch wenn viele Mitarbeiter es behaupten: Das ist keine Organisation des Arbeitsplatzes», sagt Schmidt. Wer einen geordneten und leeren Schreibtisch anstrebt, sollte zunächst gründlich ausmisten. Dann folgt die Entwicklung eines Systems. In Unternehmen sollte es dabei einheitlich zugehen. Doch damit das auf Dauer funktioniert, müssen Führungskräfte ihre Teams von dem Sinn des neuen Systems überzeugen. Sind Mitarbeiter nur halbherzig dabei, besteht die Gefahr, dass sich das Problem verlagert: «Dann ist der Schreibtisch zwar oft leer», sagt Schmidt. «Aber das Zettelchaos versteckt sich in einer Schublade.» Die klare Struktur mit leerer Schreibtischplatte hat aber nicht nur Vorteile: Experimente aus der Kreativitätsforschung zeigen, dass viele Reize bei der Arbeit das Gehirn stimulieren und so zu ungewöhnlichen Lösungsansätzen führen. Clean-Desk-Kritiker behaupten deshalb, dass eine unordentliche Arbeitsfläche kreativer macht. Doch Siegfried Preiser, Professor und Rektor der Psychologischen Hochschule Berlin, schränkt das ein: «Man kann sich auch ohne einen vermüllten Schreibtisch eine anregungsreiche und stimulierende Arbeitsumgebung schaffen.» So könne man in einer Schublade Postkarten, Zeitschriften oder Bildbände bereithalten, um die eigene Kreativität anzuregen. Auch der Blick aus dem Fenster helfe, das Gehirn für unkonventionelle Gedankengänge vorzubereiten. «Entscheidend ist die Vielfalt der Informationen, Sinneseindrücke und Erinnerungen, die viele Gehirnareale stimulieren, miteinander vernetzen und so neuartige gedankliche Konstellationen ermöglichen», sagt Preiser. Wichtig sei es deshalb, den Mitarbeitern Freiräume für die persönliche Gestaltung ihres Arbeitsprozesses zu lassen. Fotocredits: Robert Günther,Helen Nicolai,Fr Kroker und die Lichtbildkunst,Isis Martins (dpa/tmn) (dpa)