Berlin – Auch im Jahr 2020 verdienen Männer noch mehr als Frauen. Doch was hilft gegen den sogenannten Gender Pay Gap? Die Finanzexpertin Henrike von Platen sagt: Um Gehaltstransparenz und ein faires Lohnsystem zu etablieren, muss Geld mehr zum Gesprächsthema werden. Im Interview erklärt sie, wie das geht.

Frau von Platen, Sie sagen, wir brauchen mehr Gehaltstransparenz. Warum ist das so wichtig?

Henrike von Platen: Faire Bezahlung ist der Schlüssel zur Gleichstellung. Wenn ich aber gar nicht weiß, wovon ich rede, wird dieser Prozess schwierig. Oft haben wir es mit unpräzisen und gefühlten Wahrheiten zu tun, wenn es um Geld und Gehälter geht. Über Transparenz brechen wir das auf.

Was bedeutet Gehaltstransparenz denn überhaupt?

Von Platen: Man kann Transparenz bezogen auf die Summe sehen, die jemand verdient. Wer verdient unterm Strich wie viel? Transparenz lässt sich aber auch auf die Prozesse beziehen: Warum bekommt jemand denn ein bestimmtes Gehalt? Was ist die Arbeit wert? Wenn die Gründe für jedermann ersichtlich sind, entsteht Transparenz.

Woran erkenne ich denn, ob ein Arbeitgeber transparent mit Gehältern umgeht?

Von Platen: Dafür gibt es verschiedene Indikatoren. In manchen Stellenausschreibungen wird bereits ein Gehalt angegeben, andere Unternehmen kommunizieren Gehaltsbänder, die den Rahmen ihrer Zahlungsbereitschaft festlegen.

Wichtig ist, dass ein faires Regelwerk erkennbar ist und die Gehaltsstruktur eines Unternehmens öffentlich gemacht wird. Das heißt nicht, dass sämtliche Gehälter für alle einsehbar sein müssen. Unterschiedliche Unternehmenskulturen gehen unterschiedlich mit Transparenz um.

Wenn ich aber merke: Ich sehe Dinge, die mir schleierhaft sind, wenn die Spielregeln nicht klar sind oder das Regelwerk hinter den Gehältern viel zu komplex und umständlich ist, dann habe ich auch keine Transparenz.

Wie unterscheidet man zwischen ungleichen und unfairen Gehältern?

Von Platen: Wenn ich Unterschiede zwischen den Gehältern erkenne, dann muss ich verstehen können, warum das so ist – vielleicht spielen Faktoren wie der Bildungsabschluss oder die Berufserfahrung eine Rolle.

In manchen Unternehmen wird Betriebszugehörigkeit bewertet und ich bekomme einfach dadurch mehr Geld, dass ich länger da bin. In anderen Unternehmen wiederum zählt das gar nicht. Beide Systeme können als fair wahrgenommen werden, aber beide Varianten brauchen ein verständliches Regelwerk. Und dann muss ich für mich entscheiden, ob diese Unternehmenskultur zu mir passt.

Ihre These ist: Mehr über Gehalt zu sprechen, führt zu mehr Transparenz. Aber wie stellt man das an?

Von Platen: Wer es noch gar nicht gewohnt ist, über Geld zu sprechen, fängt am besten im privaten Umfeld an, zum Beispiel mit dem besten Freund oder der besten Freundin. Oftmals sind diese in ganz anderen Branchen oder Feldern tätig, aber es ist dennoch ein gute Übung: Wichtig ist, überhaupt ins Gespräch über Geld zu kommen.

Danach lässt sich das Gespräch mit Kollegen und Kolleginnen suchen. Viele denken immer noch, dass das verboten ist, weil es dazu Klauseln im Arbeitsvertrag gibt. Diese Klauseln sind allerdings vielfach gar nicht rechtens.

Ich darf über mein Gehalt reden. Und ich darf auch Vorgesetzte fragen: Sagen Sie mir doch mal, warum verdiene ich, was ich verdiene? Wie setzt sich das zusammen? Warum kriege ich genau diese Summe? Ist meine Berufserfahrung mit eingepreist oder nicht? Dann müssen sich alle damit auseinandersetzen und damit hat man schon viel gewonnen.

Wann ist denn der richtige Zeitpunkt für solche Gespräche?

Von Platen: Das bietet sich schon im Vorstellungsgespräch an. Mehr und mehr Unternehmen machen inzwischen Angaben dazu, mit welchem Gehalt eine Stelle verbunden ist. Wird aber nach den eigenen Gehaltsvorstellungen gefragt wird, ist es immer klug, die Gegenfrage zu stellen: Was haben Sie denn eingeplant? Oder: Was ist Ihnen die Stelle denn wert? Zuvor sollte man sich natürlich in Gesprächen oder auf einschlägigen Gehaltsportalen informiert haben.

Angenommen jemand findet in all den Gesprächen heraus: Mein Gehalt erscheint mir nicht fair – oder viel zu niedrig. Was ist dann der nächste Schritt?

Von Platen: Fragen, fragen, fragen: den Betriebsrat, die Vorgesetzte oder die Kollegen und Kolleginnen. Es ist nicht ratsam, einfach hinzugehen und zu sagen: Da ist was komisch.

Stattdessen ist es besser, mit klugen Fragen mehr herauszufinden: Wie setzt sich denn mein Gehalt zusammen? Und ist das fair? Man kann solche Themen geschickt in passende Situationen einbauen. Zum Beispiel im Personal- oder Weiterentwicklungsgespräch.

Was, wenn zum Beispiel meine Kollegen komisch reagieren oder nicht so recht mit der Sprache rausrücken?

Von Platen: Natürlich muss ich selbst den ersten Schritt machen: Ich frage nicht nur andere nach dem Gehalt, sondern sage selbst, was ich verdiene. Ich muss in der Lage und gewillt sein, das auch von mir preiszugeben, wenn ich selbst diese Information von anderen möchte. Sonst fragt sich die andere Seite schon, warum sie das mit mir teilen sollte.

Vielleicht brauche ich nicht alle Details, sondern eher einen Anhaltspunkt. Und dann kann man darüber diskutieren, warum die Gehälter so sind wie sie sind. Ich erlebe immer wieder, wie groß das Erstaunen ist, wenn Menschen anfangen, offen über ihre Gehälter zu sprechen. Es ist faszinierend, wie wenig die Leute oft darüber wissen.

Man sollte aber nicht vergessen: Niemand ist allein dafür verantwortlich das gesamte Entgeltsystem zu ändern. Die Unternehmen haben die Möglichkeit, die Strukturen zu verändern, die Verantwortung liegt bei ihnen.

Zur Person: Henrike von Platen ist Gründerin des FPI Fair Pay Innovation Lab. Sie unterstützt Unternehmen bei der Umsetzung nachhaltiger Entgeltstrategien. Die Wirtschafts- und Finanzexpertin ist auch als Hochschulrätin, Dozentin und Buchautorin tätig.

Fotocredits: Christin Klose
(dpa/tmn)

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