Die Bücherwand sagt mehr als 1000 Worte 8. April 2020 Ratgeber Köln – Mikro auf, Kamera an: Die Coronavirus-Krise hat vielen Deutschen eine völlig neue Erfahrung beschert. Da sie notgedrungen im Homeoffice arbeiten, wird der Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen über Videokonferenzen aufrechterhalten. Die Auswirkungen dieses Kulturwandels sind nicht zu unterschätzen. Kollegen, die im Büro noch an ihrem Sakko festgenäht schienen, tragen plötzlich Kapuzenpulli. Die Wohnzimmerdeko verrät mehr über einen Vorgesetzten als alle Mitarbeitergespräche. Und man benötigt eine ganz andere Gesprächsdisziplin. «Wenn mir in einer normalen Situation 15 Minuten Aufmerksamkeitsspanne zur Verfügung stehen, sind es in einem virtuellen Format vielleicht noch fünf», mahnt der Kommunikationstrainer Phillipp Gründel. Wichtig sei: Prägnanz. Was auffällt: Jeder geht anders mit dieser Situation um. Und doch gibt es Verhaltensmuster bei Kolleginnen und Kollegen, die immer wieder zu beobachten sind. Eine – etwas zugespitzte – Übersicht. Der Technikfremdler: Die Videokonferenz-Programme sind mittlerweile recht leicht zu bedienen. Der Technikfremdler tut sich damit allerdings immer wieder aufs Neue schwer. Er spricht minutenlang zu den Kollegen, obwohl sein Mikro stummgeschaltet ist, redet aber exakt dann zu Hause über das bevorstehende Mittagessen, wenn es alle hören können. Zudem ist ihm relativ schnuppe, wie sein Bildausschnitt wirkt. Nicht selten schaut er von schräg oben in die Kamera, so dass sein Nasenloch gut in Szene gesetzt wird. Der Technikkritiker: Der Technikkritiker kennt sich im Gegensatz zum Technikfremdler gut mit dem ganzen Video-Schnickschnack aus. Vor allem geht es ihm dabei um Selbstschutz – er will den Feind kennen. Gegen die verwendeten Video-Apps – allen voran das momentan so populäre Zoom – hat er größte datenschutzrechtliche Vorbehalte. Er fragt sich auch, warum das alles notwendig ist, es gibt doch Telefone. Trägt er seine Bedenken in der Konferenz vor, nicken die Kollegen verständnisvoll – und konferieren weiter. Danach klebt der Technikkritiker wieder seine Laptop-Kamera mit einem Post-it zu. Der Plauderer: Gestik, Mimik, Körpersprache – in einer Videokonferenz ist all das schwer zu übermitteln. Techniken zum Einhegen besonders redseliger Kollegen werden daher ausgehebelt. Anders gesagt: Man kann jemandem nicht durch einen scharfen Blick bedeuten, dass er sich gerade um Kopf und Kragen redet. Dieser toxischen Gemengelage fällt regelmäßig – oft auch bereitwillig – der Plauderer zum Opfer. Er empfindet die neue Videokonferenz-Welt als äußerst befreiend. Immerhin kann man nebenher schon mal Mails checken. Der Mitteilsame: Im Homeoffice verschwimmen die Grenzen zwischen Privatem und Beruflichem. Manche kommen ganz gut damit klar – und manche nicht. So jemand ist der Mitteilsame. Im Büro kennt man ihn nur vom Flur, nun erfährt man in einer Videokonferenz en passant wie es um die Verdauung seiner Katze oder seinen Haaransatz bestellt ist. Viel zu schnell wird es viel zu privat. Tendenziell hat er auch kein Problem damit, Einblicke in seine unaufgeräumte Bude zuzulassen. Eine halb leere Flasche Rotwein wegräumen? Ach, das geht auch so. Der Inszenierer: Für viele Arbeitnehmer ist die Videokonferenz das letzte soziale Highlight des Tages. Für den Inszenierer heißt das vor allem: Showtime! Er sitzt perfekt ausgerichtet in der exakten Mitte vor einer akkurat eingeräumten Bücherwand, die geeignet ist, anderen Kollegen in Größe und Inhalt ein schlechtes Gewissen zu bereiten. Auch Skulpturenkunst ist gelegentlich zu sehen. Der Inszenierer weiß zudem, dass auf dem Bildschirm dasselbe gilt wie auf der Straße: Streifen machen schlank, Karos sorgen für Irritationen. Fotocredits: Sebastian Gollnow (dpa) (dpa)