Für Erholung gibt es kein Patentrezept 26. Juni 2020 Ratgeber Berlin – Kontaktbeschränkungen, Homeoffice, womöglich mit kleinen Kindern wochenlang daheim – die Corona-Pandemie hat den Alltag gehörig umgekrempelt und vielen Arbeitnehmern in diesem Jahr große Kraftanstrengungen abverlangt. Nun steht für viele endlich Urlaub an. Und dann das: Statt im Meer zu schwimmen oder Cocktails am Strand zu schlürfen, kratzt der Hals, die Stirn wird warm. «Dass Arbeitnehmer im Urlaub krank werden, ist ein weit verbreitetes Phänomen», sagt die Arbeitspsychologin Anja Gerlmaier von der Universität Duisburg-Essen. Ein Zufall sei Krankheit in den Ferien meist nicht, sondern habe körperliche Ursachen: In der Arbeitszeit stehen viele Arbeitnehmer unter Strom, ihr Adrenalinspiegel ist erhöht. Oft schlägt das Herz schneller, Stresshormone wie Kortisol aktivieren den Körper. Nach stressreichen Arbeitsphasen sinke der Adrenalinspiegel im Urlaub und sorge dafür, dass das Immunsystem schwächer werde, sagt Gerlmaier. «Jede Bakterie springt einen förmlich an.» Anders gesagt: Der Körper kann mit dem plötzlichen Wechsel von Stress zu vermeintlicher Erholung nicht umgehen. Dabei brauche der Mensch regelmäßig Phasen der Regeneration, in denen er sich anderen Aktivitäten zuwende und die Aktivierung des Körpers heruntergefahren werde, sagt der Arbeits- und Organisationspsychologe Oliver Weigelt von der Universität Rostock. «Dies muss nicht immer bedeuten, auf dem Sofa zu liegen, sondern kann auch in Hobbys liegen, die einen körperlich oder mental herausfordern.» Wie man sich am besten erholt, dafür gibt es laut Gerlmaier kein Patentrezept. «Das hängt ganz davon ab, welcher Tätigkeit man nachgeht und ob man eher geistig oder körperlich beansprucht ist.» Oft helfe es, das Gegenteil von dem zu machen, was man im Alltag gewöhnt sei. Wer den ganzen Tag an einer Maschine stehe, entspanne sich womöglich am Abend mit einem guten Buch. Wer hingegen am Schreibtisch arbeite und ständig geistig beansprucht sei, solle erst einmal den Adrenalinspiegel senken, etwa indem man sich erst einmal körperlich beansprucht und zum Beispiel eine Fahrradtour macht. Doch wie lang muss ein Urlaub sein, damit man Erholung findet? Laut Studien sind elf Tage perfekt, um Tiefenentspannung zu erreichen. Alle weiteren Tage seien für die meisten Arbeitnehmer zwar nett, aber nicht unbedingt notwendig, meint Gerlmaier. Bei starken Erschöpfungssymptomen, die sich etwa durch extreme Müdigkeit und mangelnde Konzentrationsfähigkeit bemerkbar machen, müssten es aber teilweise auch mehr sein. Allerdings können offenbar auch Kurzurlaube etwa über ein verlängertes Wochenende eine positive Wirkung auf das Stressempfinden haben. Das zeigt eine österreichische Studie, an der Manager aus mittleren Führungspositionen teilgenommen haben. Das Wohlbefinden und Belastungsgefühl der Probanden waren nach einer viertägigen Pause deutlich besser, die Wirkung hielt bis zu 45 Tage an. Ein möglicher Grund: Wer nur kurz fehlt, muss keine Angst vor großen Arbeitsbergen bei seiner Rückkehr haben. Urlaub funktioniert aber anscheinend nicht für alle Arbeitnehmer. Laut einer Studie, die im «Journal of Occupational Health Psychology» veröffentlicht wurde, verzichten Menschen auf Urlaubstage, weil sie fürchten, sich nicht von der Arbeit lösen zu können oder keine Entspannung erwarten. Ein weiterer Faktor beim Verzicht auf Urlaub ist die Erwartung von negativen finanziellen Auswirkungen durch Ferien. Das Bundesurlaubsgesetz ist bei der Trennung von Arbeit und Freizeit deutlich: «Während des Urlaubs darf der Arbeitnehmer keine dem Urlaubszweck widersprechende Erwerbstätigkeit leisten», heißt es in Paragraf acht. Dennoch nimmt der Anteil der Menschen, die im Urlaub für ihren Chef erreichbar sind, zu: Laut einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des Digitalverbands Bitkom waren 70 Prozent derjenigen, die im Sommer 2019 verreisten, während dieser Zeit dienstlich erreichbar. 2018 lag der Anteil noch bei 64 Prozent. Und wie schafft man es, das Urlaubsgefühl nachhaltig in den Alltag zu tragen? Anja Gerlmaier empfiehlt, sich die Reise an den ersten Arbeitstagen ins Gedächtnis zu rufen. «Man kann zum Beispiel lokale Spezialitäten wie einen schönen Rotwein oder Gebäck vom Urlaubsort mitbringen und diese in den ersten Tagen etwa mit dem Partner oder den Freunden genießen.» Dann erinnere man sich an die schönen gemeinsamen Tage und fühle sich ein wenig dahin zurückversetzt. © dpa-infocom, dpa:200626-99-573324/2 Fotocredits: Tobias Hase,Julian Stratenschulte (dpa) (dpa)