Berlin – Der Ruf nach Lehrkräften ist vielerorts laut. Aber sollte das ein Grund sein, den Beruf zu ergreifen? Susann Meyer, Pädagogin und Sprecherin des Jungen Verband Bildung und Erziehung (VBE) spricht im Interview über falsche Berufsbilder, die richtige Motivation – und über Dinge, auf die man sich nicht vorbereiten kann.

Frau Meyer, was sind die wichtigsten Voraussetzungen, die man für den Lehrberuf mitbringen sollte?

Susann Meyer: Das Wichtigste ist auf jeden Fall Kreativität. Als Lehrkraft sollte ich beim Erstellen von Lehrmaterial und bei der Arbeit mit Kindern einfallsreich sein. Außerdem sollte man sich bewusst dazu entscheiden, Kinder zu unterrichten. Und es spielt eine Rolle, dass man das Prinzip des lebenslangen Lernens unterstützt – sowohl bei Kindern, als auch bei sich selbst.

Was ist gerade bei der Arbeit mit Kindern wichtig?

Meyer: Ich finde es entscheidend, dass man selbst nicht stehen bleibt. Dass man schaut: Wie entwickelt sich die Jugend? Welche Vorlieben haben die gerade? Wo befinden sie sich gerade im Thema Smartphones oder im Digitalen?

Als Lehrer sollte man sich vornehmen, dabei immer auf dem Stand zu bleiben: Ich helfe und unterstütze, indem ich weiß, was gerade Sache ist. Angehende Lehrkräfte sollten aufklären und anleiten können, natürlich auch kritisch sein und weltoffen.

Dazu kommt, dass man sich die Potenziale von den Kindern anschauen muss: Welches Kind kann welches Potenzial entwickeln? Da muss man ein Gespür entwickeln. Nichtsdestotrotz ist es am allerwichtigsten, Schülerinnen und Schüler motivieren und mitreißen zu können.

Woher wissen Interessierte, ob sie all das für ihr künftiges Berufsleben mitbringen?

Meyer: Wenn man sich überlegt, in den Lehrberuf zu gehen, ist es wichtig, dass man sich ein Praktikum sucht – vielleicht auch eine oder mehrere Ferienfreizeiten begleitet. Und versucht, dort mit Kindern, Erzieherinnen und Erziehern und Lehrkräften ins Gespräch zu kommen.

Daneben gibt es viele Informationsveranstaltungen, etwa von Unis. Eine interessante Perspektive können auch Lehrkräfte einbringen, die schon länger im System Schule arbeiten. Ihre Geschichten sind teilweise abschreckend, zeigen aber auch, wie vielfältig das Berufsleben ist und mit was man alles konfrontiert werden könnte.

Wissen wir nicht alle selbst aus Schultagen, was den Lehrerberuf ausmacht?

Meyer: Darauf sollte man sich nicht verlassen. Man sollte den Blick, den man als junger Mensch hatte, nicht mit dem Blick einer Lehrkraft vergleichen. In den letzten Jahren und Jahrzehnten hat sich Schule stark verändert. Frontalunterricht ist nur noch eine der Methoden zur Unterrichtsgestaltung. Die individuelle Förderung rückt immer stärker in den Vordergrund. Das kann eine Chance sein, bedeutet aber auch Herausforderung für die Lehrkraft.

Was sollte man nicht als Motivation nehmen, ein Lehramtsstudium zu beginnen?

Meyer: Es gibt viele, viele falsche Beweggründe, die man haben kann. Die gibt es ja in jedem Berufsbereich, das ist keine Frage. Wenn man das speziell auf Lehrkräfte bezieht, würde ich sagen, dass man nicht zu viel Freizeit erwarten darf. Und man sollte seinen Fokus auch nicht darauf legen, dass man verbeamtet wird. Es gibt Bundesländer, da ist es so, und es gibt welche, da ist es nicht so. Selbst wenn man verbeamtet wird, hat man als Lehrkraft kein ruhiges Leben.

Auf welche Aspekte des Lehreralltags kann man sich denn vorbereiten, auf welche vielleicht auch nicht?

Meyer: Worin viele Schwierigkeiten sehen, und womit ich auch persönlich nicht gerechnet habe als Lehrerin, ist ganz einfach das Leben auf dem Schulhof – diese Dynamik, die vielen Bedürfnisse, darauf kann man sich kaum vorbereiten. Das ist in keinem Schulbuch zu finden. Da kann man immer nur situativ entscheiden. Natürlich kann ich sagen: «Ihr dürft dies und das nicht und ihr dürft euch nicht verprügeln und so miteinander umgehen.» Aber es gibt kein Buch, dass pauschal vorschreibt, wie man sich verhalten sollte.

Und was ist mit den Kolleginnen und Kollegen?

Meyer: Wie auch in anderen Institutionen ist der Umgang mit Alteingesessenen eine Herausforderung. Die sind nicht immer aufgeschlossen gegenüber Neuem und Neuen. Wenn man als junge Lehrkraft an eine Schule kommt, bringt man oft ganz viel Motivation mit und denkt: «Jetzt kann ich richtig loslegen und in den Alltag mit den Schülerinnen und Schülern einsteigen.» Demotivierend sind dann andere Lehrkräfte, die sagen: «Schöne Idee, aber das hab ich schon vor dir versucht, das hat sowieso nicht funktioniert.»

Da kann ich nur allen sagen: Klar haben Lehrkräfte, die schon länger in Schule arbeiten, ihre Erfahrungen gemacht, von denen man oft auch profitieren kann. Aber man muss eben auch seinen eigenen Weg finden.

Wie sieht es mit dem Umgang mit Eltern aus?

Meyer: Auch Elterngespräche kann man zwar zu einem gewissen Teil vorbereiten, man kann das Protokoll befolgen. Aber es gibt auch Eltern, die ungehalten werden, auf die man reagieren muss – oder Eltern, die traurig sind. Da muss man einfach gucken und in der jeweiligen Situation den richtigen Weg finden, damit umzugehen.

Aktuell kommt immer wieder die Diskussion über Quer- oder Seiteneinsteiger auf. Wer sollte das als Option in Betracht ziehen, wer nicht?

Meyer: Wer sich dafür interessiert, muss sich natürlich auch sicher sein, Lehrkraft sein zu wollen – und ein Lernbegleiter. Es geht letztlich um die gleichen Kriterien, die in die Entscheidung einfließen sollten, wenn man in den Lehrberuf einsteigen möchte.

Wichtig ist, dass Quereinsteiger ausreichend ausgebildet sein müssen. Ich bin der Meinung, dass auf jeden Fall Vorerfahrung und Kenntnisse im Bereich der Pädagogik vorhanden sein sollten. Menschen, die ohne die übliche Ausbildung in diesen Berufsstand kommen, die können das auch schaffen, keine Frage. Aber sie haben doch einen schwereren Weg als diejenigen, die schon vorher eine Ausbildung gehabt haben.

Kann der Quereinstieg denn überhaupt gelingen?

Meyer: Der Alltag an einer Schule ist sicher etwas anderes als in der freien Wirtschaft. Davon darf man sich nicht abschrecken lassen, deshalb heißt es als Seiteneinsteiger zum Anfang sicher: durchhalten. Und die Motivation hochhalten, das ist ganz wichtig. Bald zeigen sich erste Erfolge, wenn Vertrauen aufgebaut wurde mit den Kindern. Oder es stellt sich eben heraus, dass man doch nicht für diese Aufgabe geschaffen ist.

Aktuell sind Lehrkräfte an vielen Schulen gesucht, vor einigen Jahren sah die Situation zum Teil anders aus. Sollte sich, wer eine Karriere als Lehrer anstrebt, davon beeinflussen lassen?

Meyer: Man wird sowieso beeinflusst von solchen Prognosen. Aber es ist wichtig, dass man sich vergegenwärtigt, warum man das machen möchte, die eigene Motivationsquelle zu finden auf seinem Weg – vielleicht im Studium oder im Referendariat. Spätestens im Lehrerdasein sollte man sagen können: Ich mache das deswegen. Dass man in kleine oder große Kinderaugen schaut, und weiß: Ja, das ist richtig, das ist mein Weg.

Fotocredits: Armin Weigel,Klaus-Dietmar Gabbert,Fanny Topfstedt
(dpa/tmn)

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