Mainz/Halle – Jeder der Computer-Bildschirme zeigt eine schwarze Kugel. Davor sitzen 14 Schüler. Der zwölfjährige Nelson Fay sagt: «Das wird eine Wahrheitskugel. Wenn man draufklickt und ihr eine Frage stellt, antwortet sie.»

Die App, an der die Schüler basteln und die sie später auf ihr Handy laden, ermöglicht ihnen auf einfache Weise, Programmieren zu lernen – mehrere Antworten können als Sounddatei ertönen. Die Fünft- und Sechstklässler der «Realschule plus» in Mainz sind begeistert. Geleitet wird die Arbeitsgruppe von Fadi Hankir. Der 20-Jährige macht ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) digital. Bundesweit ist das erst seit diesem Schuljahr möglich.

Beim FSJ arbeiten junge Menschen im Alter bis zu 26 Jahren in Schulen, Krankenhäusern, Sportvereinen oder Kulturinstitutionen mit. Für die neue Variante besuchen sie zusätzliche Fortbildungen. Sie können dann ihr digitales Wissen als Multiplikatoren weitergeben.

Kindern, Senioren und Behinderten «wird eine Tür zur Digitalisierung geöffnet», heißt es beispielsweise beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) in Halle in Sachsen-Anhalt, das wie das Kulturbüro Rheinland-Pfalz in Lahnstein das FSJ digital organisiert. Auch die digitale Kluft zwischen jungen und alten Internetnutzern solle überbrückt werden.

Der Koordinator von FSJ digital in Lahnstein, Marten Gerdnun, ist stolz, dass auch der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung das Projekt erwähnt. Auch im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes soll demnach künftig angeboten werden. Das Bundesjugendministerium nennt den Herbst 2018 «als Start für die dafür notwendigen Fortbildungen». Dafür solle zusätzliches Geld fließen. Gerdnun sagt: «Der Vorteil ist, dass dann auch zum Beispiel eine 70-Jährige mitmachen könnte.»

In
Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt ist das FSJ digital 2015 als Modellprojekt nur auf Länderebene gestartet. Im ersten Jahr haben sich in Rheinland-Pfalz 49 Freiwillige beteiligt und im zweiten 90.

«Jetzt fördern wir bundesweit 100 Einzelprojekte. Wir haben noch mehr Bewerber, daher musste eine Jury eine Auswahl treffen», so Gerdnun. Das
DRK in Sachsen-Anhalt hat beim FSJ digital in seinem Bundesland nach eigenen Angaben im ersten Jahr 31 und im zweiten 28 Freiwillige verbucht. Derzeit sind es 17. Zugleich bietet es aber seit 2017 auch bundesweit entsprechende Fortbildungen für Organisationen an.

Das Bundesjugendministerium zieht eine positive Zwischenbilanz: «Es wurden technik-affine Jugendliche, vor allem auch männliche Jugendliche, erreicht, die sich nach bisherigen Erfahrungen von einem klassischen FSJ im sozialen Bereich bis dato eher unterdurchschnittlich angesprochen fühlten.»

Auch junge Frauen machen mit. Charlotte Kürsten hat sich nach ihrem Abitur im Rahmen ihres sogenannten FSJ Politik für 2016/2017 um ein Zusatzangebot FSJ digital beim Landtag Rheinland-Pfalz beworben: Sie schlug mitsamt einem Kostenvoranschlag die Entwicklung einer virtuellen Tour durch das Parlament vor, wie sie auf der Website der Bundeszentrale für politische Bildung berichtet. Das Projekt wurde akzeptiert und umgesetzt – bis heute lädt es Online-Besucher in den Mainzer Landtag ein. Kürstens Bilanz: «Ich habe gelernt, an wie viele Dinge man selbst bei einem kleinen Projekt denken muss, wie man das zur Verfügung stehende Budget richtig einteilt und Angebote einholt.» Und wie wichtig Teamfähigkeit sei. Nach ihrem FSJ digital begann Kürsten Geistes- und Sozialwissenschaften in Frankreich zu studieren.

Koordinator Gerdnun sagt: «Viele sehen das FSJ digital als Orientierungsjahr. Sie schauen zum Beispiel, ob der Beruf als Lehrer für sie das Richtige ist.» So erlebt es auch Hankir bei zwei Arbeitsgruppen mit Mainzer Schülern: «Das ist eine wertvolle Erfahrung. Ich will ja Informatik auf Lehramt studieren. Jetzt habe ich keine Angst mehr vor einem Praxisschock.»

Andere sammeln Erfahrungen mit älteren Menschen. In Sachsen-Anhalt zum Beispiel hat laut dem DRK der Freiwillige Kai Böwe in einer mit dem Seniorenrat in Stendal organisierten Handysprechstunde einmal wöchentlich Fragen rund um Smartphones beantwortet. Johann Georgi hat in einem Altenheim in Halle den Bewohnern gezeigt, wie sie mit ihren fernen Kindern, Enkeln und Freunden skypen, also mit Bildübertragung sprechen können. Und mit seinem Kollegen Marco Petersilge hat er mit einer digitalen Kampagne Geld für das professionelle Stimmen eines alten Klaviers im selben Seniorenheim gesammelt.

Reich wird man mit einem Freiwilligendienst nicht. Fadi Hankir in Mainz bekommt 350 Euro Taschengeld im Monat und muss daher am Wochenende noch jobben. Andere Projektträger zahlen ähnliche Summen. Gerdnun erklärt: «Eigentlich arbeiten wir mit einer Bildungselite, denn wir schließen leider oft junge Menschen aus Problembezirken und mit niedriger Bildung aus, weil sie sich nicht finanzieren können.»

Hankirs Fünft- und Sechstklässler basteln in Mainz-Lerchenberg weiter an ihren Wahrheitskugeln. Enes Güven, zehn Jahre alt, sagt: «Das macht schon Spaß. Ich arbeite hier zusammen mit meinem Freund.» Seine Schulleiterin Katrin Herter findet Hankirs FSJ digital toll: «Das ist ein attraktives Angebot, das lockt Schüler aus der Reserve.» Manche Kinder würden die Projekte zu Hause weiter verfolgen.

Fotocredits: Andreas Arnold
(dpa)

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