Alles auf Anfang: Wie ein Neustart im Beruf gelingt 22. November 2016 Ratgeber Berlin – Kerstin Till war so richtig frustriert. Zwar hatte sie einen gut bezahlten Job als Direktionsassistentin in einer großen Firma, doch das war es irgendwie nicht. «Ich hatte keinen eigenen Verantwortungsbereich, konnte nicht selbständig arbeiten», erinnert sie sich. Während eines längeren Auslandsaufenthalts mit ihrem Mann in China reifte ein Entschluss in ihr: «Ich will studieren.» Doch so einfach war das nicht. «Ich hatte kein Abitur, hätte über eine Eignungsprüfung BWL studieren können.» Das allerdings wollte sie nicht, sondern erstmal die Allgemeine Hochschulreife machen, damit ihr alle Möglichkeiten offenstehen. Während des Abiturs, das Kerstin Till mit 40 Jahren bestand, kam sie zum ersten Mal mit dem Fach Psychologie in Berührung – das Interesse war geweckt. Doch sie wollte keinen Bachelor machen und suchte so lange, bis sie 2005 noch eine Hochschule fand, an der sie auf Diplom studieren konnte. «Ich hatte einen Plan, aber ich habe festgestellt, dass man eine gewisse Flexibilität braucht, um zum Erfolg zu kommen», sagt die selbstständige Psychologin heute. Und: «Der Frust war der größte Energiegeber und Motivator, um das durchzuziehen.» Till ist kein Einzelfall in der Arbeitswelt. Immer wieder stellen Menschen fest, dass ihr gewählter Beruf nicht der richtige ist, oder dass er sie nach Jahren nervt und frustriert. Früher ging man auch in solchen Fällen trotzdem im gewählten Job in Rente – oft auch aus Mangel an Alternativen. Heute sei das anders, sagt Michael Ziegelmayer. Er ist der Vizepräsident des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP). Der Arbeitsmarkt habe sich völlig verändert, für viele sei es normal, dass die Arbeit sich immer wieder verändert. «Eigentlich ist das gut, denn dass man ein Erwerbsleben lang denselben Job macht, ist in der Psyche nicht angelegt.» Auslöser für eine späte berufliche Umorientierung gibt es eine ganze Menge, sagt Gudrun Happich, Executive Coach in Köln. Das reicht von eigenen gesundheitlichen Problemen bis hin zu Sorgen, die man bei Verwandten und Freunden sieht. «Viele haben eine Sinnkrise so um die 40, manche auch zwischen 45 und 55.» Oft sei dann nach außen hin alles prima – doch eigentlich sieht alles ganz anders aus. «Mancher kommt dann zu dem Schluss, dass Funktionieren nicht mehr funktioniert.» Die Kinder sind groß, die Finanzen oft in trockenen Tüchern, «damit werden die Ablenkungsmanöver weniger, und man beschäftigt sich zwangsläufig mehr mit der eigenen Situation», schildert Happich eine typische Ausganglage für den Neustart. Für Kerstin Till war die Situation irgendwann klar. «Ich wusste, dass ich nicht noch 20, 30 Jahre in einem Job bleiben will, der mich nicht ausfüllt.» Also zog sie ihr Psychologie-Studium durch, umschiffte alle Hürden, die sich ihr in den Weg stellten. «Ich habe nie daran gezweifelt, dass ich das Richtige mache», sagt sie. Auch wenn das Studium mitunter kurios war, denn in Arbeitsgruppen saß sie mit Studenten, die ihre Kinder hätten sein können. Bevor sie sich auf das späte Abenteuer Uni einließ, hatte sie viel nachgedacht und geplant. «Zwar braucht man viel Flexibilität, doch das Gerüst muss stehen.» Auch Happich rät vor dem Sprung ins Ungewisse zu guter Planung: Ehe man tatsächlich kündigt und etwas ganz anderes macht, sollte man sich mit einem guten Freund, dem Partner oder etwa einem Coach beraten. «Viele kommen mit radikalen Ideen und wollen alles sofort umkrempeln.» Doch dann gelte es, die Wurzel des Problems zu finden und einen Weg, die innere Leere und Unzufriedenheit abzustellen. Und das funktioniere am besten mit jemandem, der neutral zuhören kann. Mitunter kann es schon reichen, mit einem Personalberater zu sprechen und sich eine neue Firma zu suchen. Und wenn es wirklich eine Selbstständigkeit sein soll oder ein ganz anderes Geschäft, müsse man auch die wirtschaftliche Seite beleuchten, sagt Ziegelmayer. «Dann braucht es einen Businessplan und eine kritische Analyse der ökonomischen Bedingungen.» Schließlich ist nur eine Minderheit finanziell so abgesichert, dass sie sich eine Pleite leisten kann. «Man muss das gut durchdenken, emotionale Schnellschüsse funktionieren nicht», sagt Happich. Und: Es kommt die Zeit nach der Ausbildung oder der Eröffnung eines neuen Geschäfts, wenn die Ersparnisse vielleicht aufgebraucht sind oder es an die Bewerbung geht. «Die Unternehmen sind stark auf junge Leute ausgerichtet», erzählt Till. Zwar bringe man als älterer Neueinsteiger viel mit, der Einstieg sei aber trotzdem schwer. Till hat sich für einen anderen Weg entschieden, den sie sich vielleicht in jüngeren Jahren nicht getraut hätte: Sie hat sich selbstständig gemacht. Fotocredits: Oliver Pracht (dpa/tmn) (dpa)