Lengerich (dpa) – «Sarah, da lammt eine, pack mal mit an», ruft Schäfer Jürgen Schienke der jungen Auszubildenden zu. Sarah Twente fängt das Schaf ein, das sich gerade wieder unter die Herde mischen will, legt es auf den Boden und dreht es behutsam auf die Seite.

«Ist ein Fuß dabei?», fragt Schienke. «Nein», antwortet Twente knapp. Dann greift sie beherzt in den Geburtsweg, zieht das Lämmchen heraus und trägt es zum Kopf der Mutter. Den drückt sie sanft, aber bestimmt auf den Körper des Lamms. Die Mutter schnuppert und beginnt, ihr Neugeborenes sauber zu lecken.

«Die Lämmer müssen innerhalb von zwei Stunden nach der Geburt die Biestmilch der Mutter trinken, weil sie wichtige Immunstoffe enthält», erläutert Twente. «Deshalb achten wir darauf, dass die Mutter das Lamm riecht und es so von den anderen unterscheiden kann.» Sarah Twente ist im dritten Lehrjahr zur Schäferin, im Mai wird sie ihre Ausbildung abschließen.

Damit gehört sie zu einer seltenen Berufsgruppe mit enormen Nachwuchsproblemen. Aktuell gebe es neben Twente in Nordrhein-Westfalen nur drei weitere Auszubildende – zwei Männer, eine Frau, so Bernhard Halbuer von der Landwirtschaftskammer NRW. Auch bundesweit geht die Zahl der Auszubildenden zum Tierwirt mit Fachrichtung Schäferei, wie der Beruf seit 2005 heißt, immer weiter zurück. Waren es nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 2007 zu Beginn der Aufzeichnungen noch 147 Auszubildende (davon 48 Frauen), sank deren Zahl im Jahr 2014 auf 69, unter ihnen 30 Frauen. Nur zwölf Auszubildende bestanden 2014 insgesamt die Abschlussprüfung.

«Viele haben eine idealisierte Vorstellung vom Schäferdasein», erklärt Ortrun Humpert, Vorsitzende des Schafzuchtverbandes NRW. «Wer dagegen seine eigenen Fähigkeiten realistisch einschätzt, hält trotz aller Widrigkeiten auch durch, weil es ein wunderbarer Beruf ist.» Der Verband setzt sich dafür ein, seitens Politik und Wirtschaft mehr finanzielle Sicherheiten für Schäfer zu schaffen. «Wenn die Schafhaltung angemessen vergütet würde, dann wäre der Beruf auch wieder attraktiv», sagt Humpert. Aktuell reiche der Verdienst kaum dazu aus, eine Person, geschweige denn eine Familie zu ernähren. 

Wer als Angestellter nach Tarifvertrag Landwirtschaft bezahlt wird, erhält mit abgeschlossener Ausbildung 12,12 Euro Stundenlohn, als Meister 13,58 Euro. «Es ist ein körperlich anstrengender, rustikaler Beruf», meint Schäfer Schienke. «Weil es aber so wenige von uns gibt, ist es meist kein Problem, eine Anstellung zu finden.» 

In der Berufsschule in Halle (Sachsen-Anhalt) lernen die Auszubildenden aus NRW alles über Aufzucht und Hütetechnik, Weidewirtschaft und Futtergewinnung. Zusätzlich stehen Naturschutz und Landschaftspflege auf dem Stundenplan, da sie heutzutage zu den Hauptaufgaben von Schäfern zählen. Auch die über 400 Bentheimer Landschafe, die im Winterquartier auf Hof Heemann in Lengerich stehen, schützen als lebendige Rasenmäher den Kalkmagerrasen entlang des Teutoburger Waldes. Sie gehören der Arbeitsgemeinschaft für Naturschutz Tecklenburger Land, bei der Schienke und Twente angestellt sind. 

«Die Lammzeit genieße ich sehr», sagt Twente. «Ich freue mich über jedes Lämmchen, das gesund durch den Stall springt.» Dass man dafür auch mal nachts um zwei Uhr aus dem warmen Bett kriechen muss, nimmt Twente gelassen in Kauf. Ein achtstündiger Bürojob wäre für die 24-Jährige keine Option.

Sie fasziniert die Ruhe und Weite der Natur, die frische Luft, das Leben weit weg von der Zivilisation. Im Stall hat sie sich still zurückgezogen und beobachtet Lämmchen und Mutterschaf, um sie herum blökt die Herde aufgeregt. Alles läuft nach Plan, nach wenigen Minuten richtet sich das Junge auf und stakst auf seine Mutter zu.









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(dpa)